Der Gärtner vom Campus Nord
Jakob Pfaff und sein Werk. Foto: Dr. Stefan Köhler
Auch in Corona-Zeiten fährt Jakob Pfaff, 90 Jahre alt, mehrmals die Woche mit der S-Bahn von Marzahn zur Humboldt-Universität. Eine Dreiviertelstunde dauert seine Anreise bis zum Campus Nord. Vor einem Vierteljahrhundert hat er auf dem kargen Gelände vor Haus 16 die ersten Rosen angepflanzt. Das Entrée zum heutigen IASP, dem Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte an der Humboldt-Universität zu Berlin, hat er zu einem überbordenden, wuchernden, duftenden Stückchen Erde gemacht. „Gestern war ich um 6.30 Uhr hier, Unkraut zupfen. Heute pflanze ich Dahlien“, sagt Jakob Pfaff. Manchmal arbeitet er bis abends um sieben. Ohne die roten Rosen, die gelb blühenden Dahlien und die jungen Menschen auf dem Campus möchte er nicht mehr sein. Auch nicht, wenn eine Pandemie umgeht. „Für mich ist es lebenswichtig, mit jungen Menschen über schöne Dinge zu sprechen", sagt er.
Während der Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen durfte er nicht in den Garten. „Und das im Frühjahr! Dabei ist es das Schönste, zu beobachten, wie er zum Leben kommt." Jakob Pfaff, blaues Hemd, blaue Augen und viel weißes Haar, ist dann manchmal einfach trotzdem hingefahren. Dann hat er sich alles angeschaut und heimlich Vorarbeiten gemacht, gejätet und ausgesät. „Die Pförtner haben mich gesehen, aber sie haben mich nicht fortgejagt", erzählt er. „Ich habe den Garten doch vermisst, er ist mir ans Herz gewachsen. Es fehlte mir, die Schneeglöckchen zu beobachten, wie sie ihre Köpfe über die Schneedecke strecken."
Verwunschener Zugang zum Lehrgebäude
Zwei Studierende laufen über rote Rosenblätter, die verstreut auf der alten Steintreppe liegen. Zu ihren Fahrrädern müssen sie hintereinander gehen, so weit greifen die Rosenbüsche mit ihren langen Zweigen auf den Weg. Hunderte rote Köpfe hängen von den Kletterrosen, die sich am alten Backsteinhaus hinaufwinden. Wo gibt es einen so verwunschenen, wildromantischen Zugang zu einem Lehrgebäude? Auf dem Weg zur Eingangstür geht man vorbei an wildem Wein, an Anis, der zwei Meter hoch geschossen ist, und an einer schwarzen Stockrose.
„Schade, schon verblüht“, sagt er vor einem Rosenbusch. „Der hatte so große Blüten!“ Er spreizt die Finger. „Es kommen Fernsehteams, um Aufnahmen von den Rosen zu machen“, erzählt der Institutsleiter Dr. Stefan Köhler. Auch eine hohe Kiefer steht hier, ein Maulbeerbaum, pinkfarbene Heckenrosen, gelber Sonnenhut, lila Astern, Mohnblumen, indisches Blumenrohr, Trompetenblumen. „Die Leute bleiben stehen, weil es wie eine Oase mitten in der Großstadt ist“, sagt Stefan Köhler. „Herr Pfaff und ich sprechen jeden Tag. Über das Wetter, den Wechsel der Jahreszeiten, das Werden und Vergehen.“
Als Rentner blieb er der HU verbunden
Jakob Pfaff hat sein ganzes Arbeitsleben an der HU verbracht. 1955 schrieb er sich für ein Landwirtschaftsstudium ein, dann studierte er Biotechnologie und belegte einen Kurs über die künstliche Besamung von Schweinen. Ab 1965 hat er als Assistent am Institut für Tierzüchtung und Haustiergenetik und anschließend im Institut für Molekulare Genetik gearbeitet. Als die Jüngsten im Team des IASP geboren wurden, ging er in Rente, Mitte der neunziger Jahre. Nach dem Mauerfall wurden die zwei Gärtner des Campus Nord entlassen. „Damals hat mich Professor Heinz, der Gründer des IASP, gefragt, ob ich ein bisschen was anpflanze, damit es schön aussieht", erzählt Jakob Pfaff. „Aber ich dachte mir: Entweder mache ich es ganz oder gar nicht."
Der Garten der Mutter diente als Vorbild
Pfaff hat den Garten nach dem Vorbild seiner Mutter angelegt, die einen typischen Bauerngarten am Kummerower See bewirtschaftete, am Nordrand der Mecklenburgischen Schweiz, seiner zweiten Heimat. „In unserer alten Heimat im ehemaligen Jugoslawien hatten wir einen Weingarten an der Donau mit Datscha am Hang besessen. Dorthin waren meine Vorfahren aus Rheinland-Pfalz im 19. Jahrhundert ausgewandert. Ich habe die Sommerferien mit meinem Großvater verbracht, wir hatten Kirschen, Aprikosen, Pfirsiche, Trauben, Äpfel, Obst vom Frühjahr bis zum Herbst. Dort bin ich geprägt worden.“ Eine Spezialität der Familie waren die Tomaten. Auch diese Tradition führt er im Garten des IASP fort. Eine Kollegin von der Biologie, Frau Dr. Banner, hat ihm Samen von 200 alten Kultursorten, nationalen und internationalen, anvertraut. Die pflanzt er nun in Rotation hier an.
Seit dem frühen Morgen stutzt Jakob Pfaff die Rosen und zupft Unkraut. „Ich bin ja nicht `einfach so´ so alt geworden“, verrät er. „Ich weiß, dass man sich nicht schonen darf. Man muss immer in Bewegung sein und aktiv bleiben.“ Als Gärtner sei er immer optimistisch, sagt der Neunzigjährige: „Man hat immer noch etwas vor, wenn man eine Aufgabe hat."
Autorin: Vera Görgen
Mit freundlicher Genehmigung der Abteilung VIII Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement, Frau Ljiljana Nikolic.