Humboldt-Universität zu Berlin - Pressemitteilungen

Urban agriculture - Landwirtschaft kommt in die Stadt

In einer Schwerpunktserie zur Stadtentwicklung werden Forscherinnen und Forscher der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) zu unterschiedlichen Perspektiven ihrer Forschungsarbeit auf die Stadt befragt. Priv.-Doz. Dr. Heide Hoffmann gibt Auskunft über `urban agriculture´.


Heide Hoffmann
PD Dr. Heide Hoffmann, Foto: privat.


Frau Hoffmann, seit wann ist `urban agriculture´ ein Thema?

Heide Hoffmann: Dass Landwirtschaft wieder in die Stadt kommt, dass also Lebensmittel, Rohstoffe, insbesondere direkt vermarktbare und kaum verarbeitete Produkte in den Grenzen der Stadt und im periurbanen Raum, dem grünen Gürtel um die Stadt herum, erzeugt werden und damit auch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, gibt es seit ungefähr 20 Jahren. Die Transportwege für die Produkte sind kürzer und die Stadt selbst ist grüner. Wir sprechen von `urban agriculture´ und können dann nochmal unterscheiden zwischen dem `urban gardening´ und dem `urban farming´.

Was ist der Unterschied zwischen `urban gardening´ und `urban farming´?

`Urban agriculture´ ist der Überbegriff für beides, aber beim `urban gardening´ geht es eher um den sozialen und ökologischen Aspekt, z.B. bei den Kleingärten. Beim `urban farming´ steht das gewerbliche Erzeugen von landwirtschaftlichen Produkten wie Gemüse und Obst, aber auch von tierischen Produkten oder sogar Algen im Fokus. Bei den Kleingärten und Gemeinschaftsgärten ist das Erzeugen von Lebensmitteln für den eigenen Verbrauch zwar auch wichtig, aber – zumindest nicht in den Industrieländern – nicht essentiell.
 

Algenhaus Hamburg
Das Algenhaus in Hamburg. Foto: Heide Hoffmann

Welche Formen von `urban agriculture´ gibt es in Deutschland?

In Berlin haben wir in der Nähe vom Südkreuz in einer ehemaligen Malzfabrik ein Kreislauflandwirtschaftsprojekt: „Efficient City Farming“. In Gewächshäusern werden Kräuter und Fische gemeinsam gezüchtet. Das Wasser der Barsche ist der Dünger für das Basilikum und geht als gefiltertes wieder zurück zu den Fischen. Aquaponic ist in Deutschland mittlerweile recht verbreitet, gerade auch als Bildungsprojekt. An urbaner Landwirtschaft haben wir in Berlin außerdem auch Tierhaltung wie Imkern - allein 2013 hatten wir 4407 Bienenvölker in der Stadt und, vor allem am Stadtrand, Landwirtschaftsbetriebe mit Pensionspferdehaltung. Dabei wird das Futter für die Pferde selbst angebaut.

Außerdem gibt es für verschiedene Städte Deutschlands einen Hühner-Verleih! Das Geschäftsmodell ist für Kitas, Familien oder auch Seniorenheime gedacht und es kann eine kleine Hühnergruppe gemietet werden, das Zubehör wird mitgeliefert und die Eier kann man behalten. 

In Hamburg gibt es das Algenhaus, in dessen Fassade Algen vermehrt werden. In der Fassade befinden sich Kammern mit Wasser und Nährflüssigkeit. Die Algen wachsen dort und werden regelmäßig geerntet, zum Teil für Biomasse und zum Teil wird damit die Mensa in Hamburg beliefert. Algen sind proteinreich und gerade für Veganer sehr gut.

 

Landwirtschaft in der Stadt in Kuba
Der Organopónico Vivero Alamar im Plattenbauvorort von Havanna
Foto: Heide Hoffmann

Wie hat alles  angefangen?

Das `urban gardening´ wie wir es heute kennen, hat im New York der 1970er Jahre begonnen. In vernachlässigten Gebieten in Manhattan wurden Flächen von Müll gesäubert und die Leute haben für sich selbst Gemüse angebaut. Es ging auch darum, Dealer-freie-Zonen zu schaffen und so die Kinder zu schützen. Aber das echte `urban farming´ hat seinen Ursprung in Kuba. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers und dem Wegfall der Wirtschaftsbeziehungen, also nach 1989, musste Kuba quasi über Nacht zum Selbstversorger werden. Da die Ansage für alle Städte galt, war urbane Landwirtschaft eine politische Angelegenheit von höchster nationaler Bedeutung und wurde schnell durchgesetzt. In der „speziellen Periode für Friedenszeiten“ wurde auf allen städtischen Freiflächen des Landes Gemüse angebaut. Universitäten und Forschungseinrichtungen unterstützten die Städter und gaben am Wochenende Schulungen, wie der Boden bearbeitet werden muss, wie kompostiert wird, welche Fruchtfolgen zu beachten sind – denn ein Stadtmensch hat ja nicht unbedingt Ahnung von Landwirtschaft! Auch ökologisch war Kuba damals schon Pionier: es gab schlicht keine chemischen Pestizide. Nicht zuletzt daher rührt der Begriff „Organopónicos“ für mit Substrat gefüllte Betonkästen, in denen sehr effizient Gemüse angebaut wurde und wird.

 

 

Hochhausrendering
Foto: Cjacobs627 at English Wikipedia [CC BY-SA 3.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Und heute?

Neben zahlreichen bereits existierenden Projekten zu den bekannten Formen der städtischen Landwirtschaft  gibt es „vertical farming“, vereinfacht übersetzt „Landwirtschaft in Hochhäusern“. Das Thema scheint spannend für Architekten, die Wettbewerbe ausschreiben und – manchmal auch recht kühne – Visionen haben. Für Rotterdam zum Beispiel gab es den Entwurf „Delta Park“, der am Rotterdamer Hafen das Soja aus Brasilien angeliefert bekommen sollte, so dass das Tierfutter sofort bei den Schweinen landet. Kombiniert war das Ganze mit Gemüseanbau, Hühnerhaltung und Fischbassins zu einer Kreislaufwirtschaft. Gleichzeitig war eine Schlachtanlage integriert geplant, so dass es keine langen Tiertransporte und auch weniger Krankheitsausbreitung gegeben hätte. Doch die Holländer haben `nein´ gesagt zu diesem effizienten Projekt – die Zahl von 300.000 Schweinen erinnerte zu sehr an Massentierhaltung. Auch ein anderer Architekturentwurf, der Vertical Symbiosis Tower aus dem Jahr 2011 in Südkorea, wo Rinder und Hühner in Spiralen abwechselnd gehalten werden sollten, ist noch etwas abenteuerlich. Angefangen hatte mit diesen Visionen von geschlossenen Kreisläufen in der Stadt, Dixon Despommier, ein amerikanischer Architekturprofessor. Er gab 1999 seinen Studierenden die Aufgabe, Hochhäuser – `farmscrapers´ – zu planen, die Pflanzen und Tiere gemeinsam anbauen bezeihungsweise halten. Schauen wir uns die Wirklichkeit an, dann ist Asien heute Vorreiter im `vertical farming´: In Singapore zum Beispiel produziert Panasonic in einem Fabrikgebäude auf 350 Quadratmetern 3,6 Tonnen Gemüse und Kräuter im Jahr. Auch in Tokyo und in Shanghai sind es Elektronikfirmen, die die neuen Technologien für sich entdecken. Das Licht für die Pflanzen, die in einem Hochhaus mehretagig angebaut werden, ist mit LEDs viel billiger geworden. Gleichzeitig können die Pflanzen in einer Nährlösung stehen und brauchen kein Bodensubstrat. Die Fläche in der Stadt ist allerdings immer noch viel teurer als auf dem Land.

Dennoch denke ich nicht, dass diese Firmen darin nur eine Chance sehen, um ihr Image zu verbessern. Ich glaube, dass für das `urban farming´ das Gleiche gilt, was Schopenhauer über einen neuen Gedanken gesagt hat: Zuerst wird er verlacht, dann bekämpft, bis er nach längerer Zeit als selbstverständlich gilt.
 

Das Interview führte Dr. Anne Tilkorn.