Humboldt-Universität zu Berlin - Ökonomik ländlicher Genossenschaften

Governance

Im Bereich Governance (Wandel) wird in dem verwendeten Forschungsansatz unterstellt, dass sich Genossenschaften entlang bestimmter Muster an die eigene Unternehmensentwicklung, aber auch an die Veränderungen der o.g. Marktstrukturen anpassen. In diesem marktorientierten Entwicklungsprozess ist zu erwarten, dass erkennbare Lebenszyklen durchschritten werden und bestimmte Kontroll- und Steuerungsprobleme regelmäßig auftreten, wobei eine Genossenschaft in verschiedenen Phasen ihre Unternehmensstrategie wechselt und Änderungen interner Leitungs- und Kontrollorgane vornimmt [1]. Diese dynamische Betrachtung hat für die Forschung unmittelbar zur Folge, dass zunächst verstanden werden muss, in welchem Entwicklungsstadium sich eine Genossenschaft befindet, bevor analytisch bestimmte theoretische Aussagen mit empirischen Befunden verglichen werden können [2]. Im Rahmen der beantragten Professur sollen zunächst typische Beispiele aus dem deutschen und europäischen Genossenschaftswesen dahingehend eingeordnet werden, welchem Typ im Lebenszyklusmodell, welchem Typ der Organstruktur und welchem Typ der Unternehmensstrategie ein bestimmtes genossenschaftliches Unternehmen nahe kommt [3]. Hierfür wird anhand der vorliegenden Literatur eine Systematik zur Klassifizierung von Genossenschaftstypen und Phasen ihrer Lebenszyklen [4] erarbeitet. Dieser Systematik werden Fallstudien realer Genossenschaftsentwicklungen in Europa zugeordnet. Auf der Basis dieser Klassifizierung soll der Versuch unternommen werden, konkrete Aussagen über zu erwartende Probleme, mögliche Entwicklungsrichtungen der Organstrukturen und Strategien der jeweiligen Genossenschaften für Deutschland abzuleiten. Diese sollen dann mit zum Teil vorhandenen Ergebnissen ähnlicher Untersuchungen aus den Niederlanden, Schweden und den USA und Kanada verglichen werden.

Ziel ist es, unter anderem zu theoretisch und empirisch fundierten Aussagen über die zu erwartenden Entwicklungen im ländlichen Genossenschaftswesen in Deutschland und Europa zu gelangen. Hierfür stehen seit dem Jahr 2011 umfangreiche Datenbestände und auch 33 Fallstudien aus 27 EU-Ländern zur Verfügung, die im Rahmen eines EU-Projekts gesammelt wurden und ergänzt werden müssen. Schwerpunktmäßig soll mit dem gewählten Forschungsansatz folgenden Fragen nachgegangen werden: Welche Muster der Entwicklung ländlicher Genossenschaften lassen sich regelmäßig beobachten und wie begründen? Wie unterscheiden sich beispielsweise die Genossenschaften in den einzelnen Branchen (Milch, Getreide, Weinbau) in den EU-Ländern und in Deutschland hinsichtlich ihrer internen Kontroll- und Steuerungsmechanismen? In welchen Entwicklungsphasen kommt es besonders häufig zu Krisen und in welchen ist besonders mit Veränderungen der Genossenschaftsorgane bzw. der Verfügungsrechtestrukturen zu rechnen und warum? Wie werden typische Szenarien wie die Umwandlungen von Genossenschaften in andere Rechtsformen, die Beteiligung von Genossenschaften an internationalen strategischen Allianzen, die Auslagerung des operativen Geschäfts in Gesellschaften, oder die Einführung von Investorenmitgliedern im konkreten Fall empirisch begründet? Welche Vor- und Nachteile lassen sich ex-post nachweisen? Wie wirken regionale Besonderheiten auf die Zusammensetzung, Veränderung und Funktionsweise genossenschaftlicher Organstrukturen und auf die Veränderung interner Leitungs- und Führungsstrukturen? Der Bereich Governance und Wandel widmet sich damit der Frage, wie sich die Genossenschaften in ihrem internen Aufbau an die oben skizzierten Veränderungsprozesse im Agrar- und Ernährungssektor anpassen, welche Kompromisse zwischen traditionellem Design und den Anforderungen des Marktes dabei typischerweise eingegangen werden müssen und wie Erscheinungsformen genossenschaftlicher Zusammenarbeit in der Zukunft aussehen werden.



[1]    Unter Governance wird hierbei das Gesamtsystem an Befugnissen, Leitung und Kontrolle verstanden, welches innerhalb und außerhalb der Genossenschaft dahingehend wirkt, dass das Management tatsächlich im Interesse der Mitglieder/Eigentümer handelt. Da Genossenschaften und ihr Management nicht der direkten Kontrolle durch den Kapitalmarkt unterworfen sind, spielen hier interne Governancestrukturen eine besonders wichtige Rolle für die Leistung des Unternehmens (Vgl.Bijmann, van der Sangen und Hanisch 2012),  Zingales, 1998; Shleifer & Vishny, 1997).

[2]    Vgl. Cook & Burres (2009).

[3]    Vgl. Bijman (2003); Nilsson (1999); van Bekkum & Nilsson (2000); Chaddad & Cook (2004); Cook & Burres (2009).

[4]    Vgl. Cook (1995); Chaddad (2007).